Palast der Alten Könige
Ich nehme einen Fotoauftrag an, soll den Palast der Alten Könige auf Zelluloid bannen für einen Bildband. Doch wann immer ich zu nah heran gehe, verzerrt das Weitwinkel ins Groteske. Halte ich zu weiten Abstand, gerate ich hinter den Siegesbogen, dessen breite Pfeiler das Bild beschneiden.
Ein Passant, der mein Bemühen beobachtet, rät mir, doch den Siegesbogen zur Seite zu rücken, damit ich freie Sicht habe. Auf mein stirnrunzelndes Staunen hin unternimmt er es selbst, das steinerne Tor leichter Hand zu verschieben.
"Es ist ja nur Styropor", sagt er, und da ich weiterhin stutze, fügt er bestärkend hinzu: "Der ganze Palast ist kaum mehr als Attrappe aus Kleister und Pappe."
Was aber mit den Königen sei, möchte ich wissen, und all den Sagen, die man über sie erzähle.
"Profane Fremdenverkehrsprosa", versichert der Einheimische, dies sei nur ein Mittel, Maulle au Mer interessanter zu machen. Schließlich habe der Nachbarort Gris eine Ritterburg, da müsse man solcher Konkurrenz mit dem Königspalast entgegentreten.
Früher habe hier ein Kloster aus dem 4. Jahrhundert gestanden, aber das sei architektonisch zu anspruchslos gewesen, weshalb man es vor zwanzig Jahren einem Parkplatz geopfert habe, der dann durch die Tiefgarage obsolet geworden sei.
Ich packe meine Sachen und fotografiere das Parkhaus.
20. September in Maulle au Mer
Königssagen
Der weise König
Ein weiser König ließ darüber abstimmen, ob in seinem Lande die Todesstrafe eingeführt werden solle. Anschließend ließ er alle Befürworter hinrichten und lebte mit den übrigen in Frieden und Harmonie, denn alle Gewaltbereiten waren ja tot.
Der törichte König
Ein törichter König ließ alle Wiederholungstäter hinrichten, damit sie keinen dritten Mord begehen können. Das Volk war hingerissen. Dann ließ er alle Ersttäter hinrichten, damit sie gar nicht erst den zweiten Mord begehen können. Das Volk war hingerissen. Dann wollte der König auch den ersten Mord verhindert wissen. Das Volk war hingerichtet.