Unter Büchern
Die Maullenser Bibliothek liegt abgelegen hinter Hecken und Dornbüschen, die im Sommer Feuer fangen und für die rußgeschwärzten Fensterläden verantwortlich sind, aber noch nie den Brand ins Innere des Gebäudes getragen haben.
Die Türen sind immer geöffnet, doch Spinnenweben zwischen den Pfosten zeugen von wenigen Gästen. "Hierhin verirrt sich niemand", bestätigt der kauzige Bibliothekar, der ohne Unterleib aus einem Stapel Bücher zu wachsen scheint, hinter dem aus der Nähe betrachtet ein Schreibtisch zum Vorschein kommt. "In Sonntagsreden wird zwar der Wert des Lesens betont, doch sind meine Lesungen stets unbesucht und ein Buch entliehen hat schon seit Jahren niemand mehr."
Vielleicht liegt darin eine Ursache für das nachlassende Interesse, versteht doch von den heutigen Lesern kaum noch einer, was in diesen Werken geschrieben steht. Ich frage nach, ob denn nicht durch Neuerscheinungen die Lektüre wieder attraktiver würde, aber neue Bücher, so wird mir beschieden, könnten alte Weisheiten nicht wiedergeben.
30. November in Maulle au Mer
Die Bibliothek
Ein jeder Maullenser ist Mitglied im Bibliotheksverein. Gleich nach der Geburt bekommt er sein erstes Büchlein geschenkt und ist damit in den Kreis der Leserschaft aufgenommen, ohne natürlich schon lesen zu können, aber niemand möchte, dass seine Kinder als unbelesen gelten.
Wenn der Heranwachsende schließlich selbst zur Lektüre befähigt ist, bekommt er einen eigenen Bibliotheksausweis in feierlicher Zeremonie überreicht. Fortan nehmen die meisten Jugendlichen nie wieder ein Buch in die Hand.
Allenfalls alte Leute zeigen sich ab und zu im Lesesaal, um in Büchern einen Halt für die letzten Lebensjahre zu finden. Auch Touristen träufeln aus architektonischen Gründen ins Bibliotheksgebäude, Besucherströme bleiben aber aus.
Obwohl also niemand Interesse an Büchern hat, halten sich die Maullenser viel auf ihre Bibliophilie zugute und schauen abschätzig auf jene, die keiner Bücherei angehören.